Die multidisziplinär arbeitende Genfer Künstlerin Marie Velardi (*1977) interessiert sich für das Zusammenwirken von Naturzyklen, Menschen und klimatischen Begebenheiten. So stehen Mondphasen, Wassersysteme und verschiedene Zeitlichkeiten auch im Zentrum ihrer ersten Einzelausstellung in der Deutschschweiz.
In stetem Austausch mit unterschiedlichen Menschen und Disziplinen versammelt Velardi diverses Wissen und stellt dieses bildhaft dar. Dabei ist sowohl der Austausch mit Wissenschaftler*innen, wie ihre eigene Recherchearbeit – aber auch die produktiven Zwischenzonen von Wissen und Empfindung für die künstlerische Umsetzung relevant.
Erstmals im Kunstmuseum Solothurn zu sehen, eröffnen Velardis Bassins Versants die Ausstellung. Auf Stoffbahnen gedruckt, repräsentieren die mehr oder weniger weitverzweigten Wasserläufe von Rhein, Rhone, Po, Donau und Etsch die fünf zentralen Flusseinzugsgebiete, welche die Schweiz mit den benachbarten Ländern und darüber hinaus teilt. In den mitunter fragilen Adern der Bassins Versants spiegeln sich unterschiedliche Interessen und Ansprüche, ökologische wie wirtschaftliche Bedeutungsebenen über nationale Grenzen hinweg. Die Aktivierung der Installation durch Expert*innen – im Rahmen einer Begleitveranstaltung – ist Teil der kollaborativen Arbeit der Künstlerin.
Von räumlichen und territorialen Themen spannt Velardi den Bogen zu zeitlichen Fragen. Von 2014–2019 entwickelt sie unter dem Titel Terre-Mer ein Werkkonvolut von Texten und Aquarellen, das von der Beziehung zwischen Erde, Meer und den Verschiebungen von Küstenlinien in Vergangenheit und Zukunft handelt. An verschiedenen Meeresufern stellt sie fest, dass Zwischenbereiche von Wasser und Land, die sich im steten Wandel befinden, als eine Art klimatisches Gedächtnis fungieren. So beobachtet Velardi, wie die Rückkehr der Mangroven in thailändischen Küstenregionen Schutz vor Tsunamis bietet und gleichzeitig eine Barriere für Salzwasser markiert, welche hilft, die ufernahen Süsswasserstellen zu erhalten. Ihre eigenen Untersuchungen wie auch neue Forschungsergebnisse sind prägend für die Serie. Damit reiht sich Velardi in die Tradition ökologisch engagierter Künstler*innen ein, die sich seit den 1970er-Jahren intensiv mit dem Klimawandel auseinandersetzen.
In einer Serie von 28 Aquarellen widmet sich die Künstlerin den Mondphasen. Sie bezieht das Narrativ historischer Forscher*innen mit ein, die glaubten, Ozeane auf dem Mond entdeckt zu haben. Die sogenannten Maria Lunae sind titelgebend für die Serie, die bereits überholte wissenschaftliche Theorien ins Heute transportiert. Die Ausstellung endet mit der Beschwörung der Tiefenzeit, die schliesslich unsere Vorstellungskraft herausfordert: Long Term Lunar Clock besteht aus einer Monduhr, deren Zeiger das Ziffernblatt nach dem Mondzyklus umkreist, sowie einer monumentalen Wandarbeit, welche die sich Monat für Monat für Monat wiederholenden Mondphasen potenziell in die Unendlichkeit projiziert. Selbst wenn wir den Raum und damit die Ausstellung verlassen, gibt die Monduhr immer weiter den Takt an.
Besonderer Dank an den Swisslos-Fonds des Kantons Solothurn, die Däster-Schild Stiftung und Pro Helvetia. Vielen Dank auch der Coll. Fonds cantonal d’art contemporain, Genève für die Leihgabe.
Gastkuratorin: Marianne Burki, Kunsthistorikerin