Auf der Oberfläche der Leinwand lotet die Künstlerin Dynamiken der Verschiebung, Überlagerung, Ruptur und Verschmelzung aus, wie sie insbesondere vulkanische Landschaften prägen. Mehrtägige Streifzüge, bevorzugt in Charamandas’ zweiter Heimat Griechenland, sind Ausgangspunkt für ihre Arbeiten, die im Studio ihrerseits Form durch Ganzkörpereinsatz annehmen: durch Pendelbewegungen zwischen Chaos und Ordnung, dem Auswischen und Kristallisieren von Farbschichten und Details. Die Künstlerin betreibt eine Art Psychogeografie, in der vulkanische Morphologien zum Spiegel innerer Zustände werden und menschliche Körper mit landschaftlichen korrespondieren.
Als Membran zwischen äusseren und inneren Landschaften erscheinen die halbdurchlässigen Stoffbahnen und Leinwand im mittleren Raum. Die Projektion eines abgelaufenen Super-8-Streifens malt impressionistische Bilder von Landschafts- und Menschenkörpern, die sich durch ephemere Lichtpunkte zusammensetzen und wieder auflösen. Bewegtbilder in kleinen Leuchtkörpern ziehen den Blick guckkastenartig in parallele Welten. Links blitzt ein industrielles Depot von Rotschlamm auf; ein giftiger Rückstand, der bei der Gewinnung von Aluminium aus Bauxit entsteht. Rechts treiben Zitronen in den Wogen des Meeres. Farben und Szenen, die zugleich Gedeihen und Gefahr signalisieren.
Spiralförmige Keramiken – teils ganz, teils in Stücken – werden durch einen Kamm von lokalem Juramergel gestützt; ein Kalkstein, der sich vor rund 160 Millionen Jahren im Urmeer setzte, das damals den Kontinenten überzog. Die Natur tritt ins Museum und in Dialog mit der Malerei einer Caldera, eines Kraters, als Ort der Spannung, des Bruchs und der Transformation, wo Zerstörung und Fruchtbarkeit Hand in Hand gehen. In Tides schwappt geologische Tiefenzeit in die gesellschaftliche Gegenwart: Landschaft ist hier nicht Gegenstück zum Portrait des Menschen, sondern vielmehr Grundlage einer Politik der Fürsorge, die auf der Kraft und Verletzlichkeit aller Beteiligten aufbaut.
Dimitra Charamandas (*1988 in Solothurn) studierte Kunst an der Hochschule Luzern (BA) und am Institute Art Gender Nature in Basel (MA). Über die letzten zehn Jahre hat sie ihre Arbeiten in zahlreichen Ausstellungen in der Schweiz und im Ausland gezeigt; letzte Solopräsentationen fanden im Helvetia Art Foyer (2023) statt sowie in der Galerie Ann Mazzotti in Basel und der Gypsum Gallery, Kairo (beide 2022). Parallel veranstaltete Charamandas performative Lesungen, Essen und kuratorische Projekte u. a. in Luzern, Basel, Frankfurt, Chicago und Athen.