Lex Vögtlis Kosmos umfasst Malerei, Druckgrafik, Installation und Objekte – in allen Bereichen ist ihre Begeisterung für Stofflichkeit, für Textur, für Farben und Formen offensichtlich. Seit 2008 entstehen auch Collagen, die in ihrer Farbigkeit vom malerisch geprägten Blick der Künstlerin zeugen. «Du»-Hefte mit ihren zahlreichen Abbildungen aus der Kultur- und Kunstgeschichte, Bildbände, Kunstkataloge, Plakate usw. sind der Künstlerin eine Fundgrube an Bildmaterial. Lex Vögtli geht diesen Bildquellen in archäologischer Art und Weise auf den Grund, schneidet querbeet, mit Lust, präzisem Auge und sorgfältiger Hand – bevor Lex Vögtli den Weg als Künstlerin einschlug, hatte sie ein Studium der Archäologie in Betracht gezogen. Sie dekontextualisiert das Ausgeschnittene und fügt die einzelnen Bildsplitter ebenso hintersinnig wie launig und ebenso vergnüglich wie ernsthaft zu neuen, faszinierenden Bildwirklichkeiten zusammen, die auch etwas an barocke Wunderkammern erinnern. Dabei behält sie die Motivwahl und Massstäblichkeit, das grosse Ganze, immer im Auge. Insbesondere die neuen, grossformatigen Bilder motivieren dazu, nach den Schnipseln zu «graben» und sie nach Möglichkeit zu identifizieren.
Von Weitem ziehen die grossen Collagen, die mehrheitlich für diese Ausstellung entstanden sind, mit ihrer Farbigkeit, der Kleinteiligkeit und den Motiven den Blick an. Aus nächster Nähe wird es komplizierter, denn nichts ist so, wie erwartet, vielmehr öffnen sich nochmals unzählige Bildinhalte und -ebenen, machen die Schnittstellen die neuen Zusammenhänge deutlich, die wir gedanklich erst verarbeiten und verbinden müssen. Lex Vögtlis Collagen fungieren aufgrund des vielschichtigen Bildmaterials und hinsichtlich ihrer inhaltlichen Brisanz als Zeitspiegel: «Balance» thematisiert mit den Gefässen, den Töpfen und Krügen die prekäre Stabilität des menschlichen Seins; und während die Kulturgeschichte auch in «Wenn der Himmel kippt» unter unterschiedlichen Vorzeichen dominiert, zeigt sich in «Kosmos» die Natur in ihrer Vitalität und Verletzlichkeit. Lex Vögtli nimmt mit Vor-Bildern aus unterschiedlichsten Jahrhunderten Bezug auf dringliche Themen der Gegenwart, doch sie tut dies nicht mit erhobenem Finger, sondern durchaus mit Humor und einer Prise Ironie.
Der wandernde Blick über unterschiedlichstes Bildmaterial ist nicht nur in den Collagen möglich, das Prinzip des Zusammenführens prägt auch die Ausstellung: So haben wir gemeinsam mit Lex Vögtli eine Auswahl von Werken aus den Sammlungen des Kunstvereins und des Kunstmuseums Solothurn getroffen, die stark vom Blick der Künstlerin geprägt ist. Die Sammlungswerke nehmen inhaltlich, motivisch oder formal Bezug auf die Arbeiten von Lex Vögtli und öffnen über Jahrhunderte hinweg weitere assoziative Denk- und Sehräume. Das Thema des Gefässes, eine urmenschliche Form, verbindet Lex Vögtlis Collage «Balance» mit dem Gemälde des Solothurner Malers Frank Buchser, der 1880 zum dritten Mal und für acht Monate in Marokko weilte. Aber auch mit «Wenn der Himmel kippt» können die auf Buchsers Bild ausgebreiteten Töpfe gelesen werden, wenn auch unter anderen Vorzeichen. Ausgehend von «Kosmos» gilt der nächste Themenkreis der Natur mit einem frühen Bild von Hans Erni, dessen Bild die Synthese von Mensch und Natur zeigt. Die Struktur der Rippen in Zoltan Kemenys Relief ist nicht nur gleichsam ein Echo auf den Goldring in der Collage «Wenn der Himmel kippt», die Form erinnert an ein Fragment eines grösseren Ganzen, eines Fundstücks aus der Natur. Der Detailreichtum, die Ranken und Üppigkeit der Natur sind sowohl in Urs Eggenschwylers Panther wie im wundersamen Spazierstock von Martin Disteli zu entdecken. Die leuchtenden Augen des Panthers finden in den im mittig gesetzten Auge des Rotaugenlaubfroschs auf der Collage eine Entsprechung – die Natur blickt uns eindringlich an. Auf der anderen Längsseite löst die urbane Landschaft, die Architektur um Lex Vögtlis Druck «Am Stadtrand» die Natur ab. Konstruktion und Dekonstruktion werden bei Otto Tschumi und Barbara Wiggli in unterschiedlichen Formen und Medien behandelt.
Ist der erste Saal den Collagen von Lex Vögtli gewidmet und umfasst ein breites Themenspektrum, so steht im zweiten Raum die «Sisterhood» und die Frau in all ihren Facetten im Zentrum. Nach einem längeren Unterbruch hat Lex Vögtli die Malerei wieder aufgenommen und feiert im persönlich gefärbten Bild «Handeln» (2023) die Bande unter Künstlerinnen: Malerisch nimmt sie mit Interpretationen, Zitaten und Referenzen Bezug auf drei Solothurner Malerinnen, die sie besonders schätzt: Dimitra Charamandas, Gergana Mantscheva und Maja Rieder. In der Mitte steht Alma, die Tochter der Künstlerin, in der Küche von Lex Vögtlis Partner Gilbert Engelhard «in action». Ihr vis-à-vis hängt die «Frau», für deren Kopffragment Lex Vögtli sich bei Dominique Ingres’ Porträt von Mademoiselle Rivière bedient hat. In der eindrucksvollen Collage geht es drunter und drüber, auffällig ist der aus Schnipseln zusammengesetzte Faltenwurf des Kleides, der auch in den weiteren ausgewählten Bildern in diesem Raum zum Thema wird. Von Karl Itschners «Ringelreihen zu zweit» ist es ein kleiner Sprung zu Lex Vögtlis «Discoqueen», die den Auftakt zu den Polymerdrucken macht, einer für Lex Vögtli mit ihren Collagen verwandten Form. Auf den ersten Blick erinnern die Tiefdrucke an Blumenstillleben. Auf den zweiten Blick tritt das Rebellische, Hintergründige oder Surreale hervor.