In einer Wiener Galerie ersteht sie kurz darauf ihr eigenes van Gogh-Gemälde: unser heutiges Sammlungs-Highlight Der Irrenwärter von Saint Rémy.
In einer Wiener Galerie ersteht sie kurz darauf ihr eigenes van Gogh-Gemälde: unser heutiges Sammlungs-Highlight Der Irrenwärter von Saint Rémy.
Da die Käuferin noch nicht volljährig ist, bittet sie den Galeristen, mit der Auslieferung und Rechnung zuzuwarten. Das Bild kommt aber früher in Solothurn an als erhofft. Um die Rechnung für den damals schon teuren van Gogh zu begleichen, bleibt unserer Protagonistin nichts anderes übrig, als die Unterschrift ihres Vormunds einzuholen und damit die benötigte Summe aus ihrer Erbschaft zu lösen.
Unsere Hauptdarstellerin ist die Tochter einer Solothurnischen Industriellenfamilie; Fotografin, Vertraute, Sammlerin, Mäzenin und Modell grosser Schweizer Maler – und die wichtigste Stifterin des Kunstmuseums Solothurn: Gertrud Dübi-Müller.
Gertrud Müller wird 1888 als jüngstes von vier Geschwistern in der Schanzmühle in Solothurn geboren. Ihr Vater war ursprünglich Bäcker und Müller, der vor den Toren der Stadt eine Mühle betreibt. Sein grosser Unternehmergeist führt zur Gründung von Müller & Cie. AG, später Sphinxwerke, die Schrauben und Drehteile für die Uhrenindustrie am Jurasüdfuss herstellt. Als erster auf der Welt leitet Müller Energie von einem eigenen Kleinkraftwerk in seine Fabrikationsräume – durch eine 7 km lange Freileitung aus Kupferdraht, die er von einem Wasserkraftwerk in Kriegstetten bis nach Solothurn verlegen lässt.
Die Mutter, Anna Emma Albertine Haiber, stirbt kurz nach Gertruds Geburt; der Vater, als sie nur sechs Jahre alt ist. Die älteste Schwester Emma stellt für die jüngeren Geschwister eine Gouvernante ein, die die Kinder strikt und lieblos erzieht. «Trutti», wie sie von den Geschwistern genannt wird, bewahrt dennoch ihre Heiterkeit und Furchtlosigkeit und beginnt früh mit dem Fotografieren. Ihren engsten Verbündeten findet sie in dem ein Jahr älteren Bruder Josef. Als Gertrud ins Internat Tannegg an der Baselstrasse in Solothurn zieht, besucht Josef sie heimlich, um seiner kunstaffinen Schwester Fotoabzüge zu bringen.
Am 27. Juli 1902 eröffnet das Kunstmuseum Solothurn: Gertrud und Josef Müller sind mit dabei und lernen Ferdinand Hodler und Cuno Amiet kennen.
Kurz danach sieht Gertrud erste Bilder der beiden und ist begeistert. Sie nimmt Malunterricht bei Cuno Amiet. Der Künstler, ebenfalls ein gebürtiger Solothurner, ist damals bereits national, ja international, bekannt. Verbindet Amiet anfangs ein enger Austausch mit dem eine Generation älteren Ferdinand Hodler, so bricht er bald mit dem ‹Vater› der figurativen Schweizer Moderne, um seinen eigenen – experimentelleren und abstrakteren – Weg zu verfolgen.
Gertrud bleibt beiden zeitlebens verbunden. In 1907, knapp 19-jährig, tätigt sie mit ihrem Bruder Josef ihren ersten Kunstankauf bei Amiets Künstlerfreund Giovanni Giacometti in Stampa. Unser van Gogh folgt noch im selben Jahr. Ebenfalls in 1907 steht Gertrud selbst Modell für eine der Frauen in Hodlers Monumentalbild Blick in die Unendlichkeit; eine Studie davon hängt bis heute im Kunstmuseum Solothurn.
Immer wieder dreht sie mit ihrer Kamera den Blick um und macht die Männer mit Pinsel zu ihren Modellen.
Amiet und Giacometti fertigen parallel ein Portrait von Gertrud mit violettem Hut an. Die Bilder sorgen für Furore. Immer wieder dreht sie mit ihrer Kamera den Blick um und macht die Männer mit Pinsel zu ihren Modellen. Insgesamt sind weit über 100 Hodler-Fotos von Gertrud bekannt; der Künstler malte sie im Gegenzug rund 17 Mal. Das grösste Bildnis Gertrud Müller entsteht im Jahr 1911, als Hodler Fräulein Müller in rosa Robe fast lebensgross malt – wohl auch, um Der violette Hut seines Konkurrenten Amiets zu übertrumpfen!
Ihre Zwanzigerjahre verbringt Gertrud Müller auf steter Reise:
zwischen Hodlers Atelier in Genf und Cuno Amiets Bauernhaus auf der Oschwand (dessen Kauf sie dem Künstler durch einen zinslosen Kredit erst ermöglicht hat); zu Ausstellungen in den europäischen Kunsthauptstädten Paris, München und Wien; oder ins Bergell und nach Italien mit den Giacomettis. Als erste Frau in Solothurn erwirbt sie den Führerschein und hinterlässt mit ihrem Pic-Pic (ein Auto der Schweizer Piccard-Pictet-Marke) grosse Staubwolken.
Als erste Frau in Solothurn erwirbt sie den Führerschein und hinterlässt mit ihrem Pic-Pic grosse Staubwolken.
Anfang ihrer Dreissigerjahre heiratet Gertrud Müller den Juristen Otto Dübi, der im selben Jahr Direktor des Familienunternehmens wird.
Zur Verlobung schenkt er seiner zukünftigen Frau Gustav Klimts Goldfische. Das erotische Bild, das Getrud erst in ihrem Schlafzimmer versteckt, gehört heute zu den Lieblingen vieler Besucher*innen des Kunstmuseums. Als Paar kaufen Dübi-Müllers weitere Werke an, wobei Otto auf das Kunsturteil seiner Frau vertraut.
Gertruds Vorliebe bleiben Experimente in der figurativen Malerei. Nebst Schweizer Künstler*innen hat es ihr besonders die Pariser Avantgarde angetan: Henri Matisse, Pablo Picasso, Georges Braque, Juan Gris u. a. finden Eingang in die Sammlung der Dübi-Müllers – und damit später auch in die des Kunstmuseums Solothurn.
Von 1932–43 wirkt Gertrud Dübi-Müller als Mitglied der Kunstkommission der Stadt Solothurn und setzt sich dabei besonders für zeitgenössische Kunst ein.
Im Jahr 1942 kehrt ihr Bruder Josef nach zwanzigjährigem Aufenthalt in Paris nach Solothurn zurück und wird ehrenamtlicher Konservator des Museums der Stadt Solothurn. Unter Josef erlangt das Haus nationale Bekanntheit für seine Ausstellungen und Ankäufe zeitgenössischer Schweizer Künstler; darunter Hans Berger und Max Gubler (beide 1942), Maurice Barraud und Ernst Morgenthaler (beide 1945), mit denen sich Gertrud auch eng befreundet.
In 1948 findet eine Ausstellung zum 80. Geburtstag von Amiet statt. Hier kauft Gertrud Dübi-Müller Der Gelbe Hügel für CHF 3’000 von Cuno Amiet. Wohl aufgrund seiner gewagten Farbgebung musste das Bild lange auf eine Käuferin warten. Seine Strahlkraft bannt Besucher*innen bis heute.
Die Schenkungen der Dübi-Müller-Stiftungen lassen das Museum der Stadt Solothurn aus allen Nähten platzen – und bewegen zum Umbau des Hauses in ein reines Kunstmuseum.
In den 1960er-Jahren wird die Dübi-Müller-Stiftung mit rund 190 Werken geschaffen. Sie initiiert in der Folge auch die Josef Müller-Stiftung und die Max Gubler-Stiftung. Ein Jahrzehnt später gehen die Stiftungen offiziell in die Sammlung des Museums der Stadt Solothurn über – das in der Folge aus den Nähten platzt! Die Schenkungen bewegen zum Umbau des Museums in ein reines Kunstmuseum, das im Jahre 1980 neu eröffnet. Im selben Jahr lässt Gertrud Dübi-Müller ein bewegtes, selbstbestimmtes Leben als Fotografin, Freundin und Sammlerin grosser Schweizer Künstler*innen und als bedeutendste Stifterin unseres Museums hinter sich.